Harald Wieser – Wie eine sozial-ökologische Transformation gelingen kann

Harald Wieser ist Projektleiter am ACR-Institut KMU Forschung Austria und beschäftigt sich dort vor allem mit Transformationsprozessen zu einer klimafreundlicheren Wirtschaft. Aktuell evaluiert er mit seinem Team das Forschungsprogramm „Stadt der Zukunft“ und untersucht, wie kreislauffähige Geschäftsmodelle in der Industrie etabliert werden können. Mit seiner Forschungsarbeit will er dazu beitragen, dass nachhaltigere Produktions- und Konsummuster den Weg aus der Nische finden.

Wie würden Sie Ihre Tätigkeit am Institut beschreiben, was gehört alles dazu?

Mein Schwerpunkt liegt in der Ableitung von politischen Handlungsempfehlungen für die Förderung einer Transformation zu einer klimaneutralen und nachhaltigen Wirtschaft. Diese leite ich zum einen aus Evaluierungen von wirtschafts- und innovationspolitischen Programmen und zum anderen aus Untersuchungen von Transformationsprozessen und Herausforderungen unterschiedlicher wirtschaftlicher Akteure in der Praxis ab. Methodisch wende ich vor allem qualitative Methoden an, wie Interviews, Workshops oder Fallstudien, aber auch Umfragen sind ein wichtiges Instrument in meiner Arbeit. Ich nehme mir bei jedem Projekt vor, möglichst einfache und gut strukturierte, aber nicht-triviale Erkenntnisse zu gewinnen, die einen Nutzen für die jeweiligen Zielgruppen haben und auf denen ich in den folgenden Projekten aufbauen kann.

Neben der Arbeit an Forschungsprojekten, worunter ich einige leite oder koordiniere, gehören auch das Verfassen von Publikationen und Konferenzteilnahmen zu meinen Aufgaben. Darüber hinaus stehe ich diversen Stakeholdern und Student*innen regelmäßig mit meiner Expertise zur Verfügung.

Woran forschen Sie gerade?

Im Bereich der Evaluierungen von politischen Programmen beschäftige ich mich derzeit vor allem mit dem Programm „Stadt der Zukunft“, in dem seit 2013 Forschungsvorhaben zur Entwicklung von Technologien für eine klimaneutrale Stadt gefördert werden. Darüber hinaus begleite ich mit meinen Kolleg*innen das deutsche Energieforschungsprogramm (Forschung für die Energiewende) und eine Förderinitiative des Austria Wirtschaftsservice (aws) zu vertrauenswürdiger Künstlicher Intelligenz, wo wir unter anderem untersuchen, wie Förderungen sicherstellen können, dass Künstliche Intelligenz einen positiven Beitrag zum Klimaschutz leistet. Parallel dazu entwickeln wir für das BMK ein Konzept für das Monitoring eines Förderprogramms im Bereich nachhaltiger Mobilität, damit die Förderungen einen größtmöglichen Beitrag zur Transformation des Mobilitätssystems leisten können.

„Die bisherige Forschung setzte sich nur äußerst unzureichend mit der sozialen Dimension des Übergangs zu einer Kreislaufwirtschaft auseinander.“

Harald Wieser, KMFA

In Bezug auf die Untersuchung von Transformationsprozessen konnten wir vor kurzem zwei Projekte zur Kreislaufwirtschaft abschließen. Im Projekt „CircularHub“ befassten wir uns mit der Rolle von Unternehmensgründungen in der Transformation zu einer Kreislaufwirtschaft, woraus wir gemeinsam mit diversen Stakeholdern ein Konzept für die entsprechende Umgestaltung bestehender Förderstrukturen ableiteten. Das Projekt „BeLONGevity“ setzte sich mit der Frage auseinander, wie eine Transformation zu einer Kreislaufwirtschaft angesichts der unterschiedlichen Vorstellungen und Voraussetzungen in der Bevölkerung verwirklicht werden kann. Beispielsweise bleibt unklar, inwieweit insbesondere ökonomisch benachteiligte Haushalte von einer solchen Transformation betroffen sein würden. Die bisherige Forschung setzte sich nur äußerst unzureichend mit der sozialen Dimension des Übergangs zu einer Kreislaufwirtschaft auseinander und ließ die Frage damit weitgehend unbeantwortet. Demgegenüber entwickelte das Projekt einen Leitfaden für Unternehmen und andere Versorgungseinrichtungen (z.B. Vereine) zur Ausgestaltung eines sozial inklusiveren Angebots. Der Endbericht zeigt die Schwächen bestehender Zugänge in der Ausgestaltung von Angeboten auf und leitet entsprechende Handlungsempfehlungen für die Politik ab. Beispielsweise geht aus der Studie hervor, dass Start-ups im Bereich der Kreislaufwirtschaft kaum auf soziale Inklusion eingehen. Die Ergebnisse beruhen auf Gesprächen mit benachteiligten Personen sowie Vertreter*innen von diversen Anbieter*innen aus der Kreislaufwirtschaft.

Gemeinsam mit meinem Kollegen Peter Kaufmann wirke ich außerdem am österreichischen Sachstandsbericht zu den „Strukturen für ein klimafreundliches Leben“ mit, zu dem wir ein Kapitel zu den erforderlichen Veränderungen und Gestaltungsoptionen für eine Transformation zu einer klimafreundlichen Wirtschaft beitragen. Der Bericht wird von Expert*innen begutachtet und Stakeholdern begleitet. Die Veröffentlichung ist noch für 2022 vorgesehen.

Welches Projekt kommt als nächstes?

Vor kurzem konnten wir gemeinsam mit dem ACR-Partner AEE Intec das Projekt „PRO_Service“ beginnen, das im Rahmen der FTI-Initiative Kreislaufwirtschaft gefördert wird. Darin untersuchen wir das ökonomische und ökologische Potenzial von Leih- und Servicemodellen im produzierenden Gewerbe. Zentrales Anliegen ist hier eine Verringerung der Treibhausgasemissionen auf Basis einer Umstellung vom Verkauf von Produkten zur Bereitstellung von Dienstleistungen. Ich hoffe, dass wir demnächst auch ein umfangreiches Projekt zur Rolle der KMU-Politik für die Dekarbonisierung der Wirtschaft beginnen können.

Welche Ausbildung(en) haben Sie absolviert, um dahin zu kommen, wo Sie heute sind?

Zunächst absolvierte ich das Bachelorstudium Volkswirtschaft an der WU Wien, da ich mich schon immer für die ‚großen Zusammenhänge‘ interessierte. Vor allem faszinierte mich damals schon das menschliche Verhalten sehr, weshalb ich auch das Studium der Psychologie oder Marketing in Erwägung zog. Mir wurde zu der Zeit auch immer nachgesagt, ich wäre sehr gut darin, andere Menschen zu überzeugen. Im Studium selbst lernte ich aber auch die Defizite der Volkswirtschaftslehre kennen, insbesondere in Bezug auf die Lösungsfindung für gesellschaftliche Probleme wie dem Klimawandel. Deshalb wählte ich in der Folge das Masterstudium „Socio-Ecological Economics and Policy“, das ein realistischeres Verständnis menschlichen Handelns und eine verstärkte Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Herausforderungen versprach. Im Rahmen des Masterstudiums verbrachte ich ein Semester in Maastricht, wo ich meine Abschlussarbeit schrieb. Darin befasste ich mich mit sogenannten Spillover Effekten, also der Frage, ob das Nachgehen einer nachhaltigen Praxis positive oder negative Effekte auf die Wahrscheinlichkeit hat, auch in einem anderen Bereich nachhaltig zu agieren. Nach dem Masterstudium arbeitete ich ein Jahr lang an einem Forschungsprojekt an der Arbeiterkammer Wien zur Nutzungsdauer von Gebrauchsgütern. Im Anschluss verfolgte ich das Thema im Rahmen eines PhD-Studiums an der Universität Manchester weiter. In der Dissertation untersuchte ich anhand einer Fallstudie des Marktes für Mobiltelefone erstmals, unter welchen Bedingungen die durchschnittliche Nutzungsdauer eines Gebrauchsguts ausgeweitet werden kann. Dies spiegelt meine Überzeugung wider, wissenschaftliche Lösungen zu finden, die eine Veränderung jenseits einzelner Nischen (wie besonders nachhaltigkeitsaffine Milieus) erzielen.

Warum haben Sie sich für die Forschungstätigkeit entschieden?  Gab es dazu ein Schlüsselerlebnis oder ein Vorbild?

Die Bedeutung eines Wandels zu einer nachhaltigeren Wirtschaft wurde mir vor allem in Gesprächen mit Studienkolleg*innen klar. Die Forschungstätigkeit erlaubt es mir, mich mit diesem Thema umfassend und mit Blick auf die gesamte Wirtschaft auseinanderzusetzen. Zugleich gefällt mir das analytische Denken und die Interaktion mit unterschiedlichen Akteuren: sowohl Gespräche mit Menschen zu ihren Erfahrungen im Alltag oder Unternehmen als auch Diskussionen im wissenschaftlichen Umfeld.

Welche sind Ihre bisher wichtigsten beruflichen bzw. wissenschaftlichen Stationen?

Als Forscher war ich bisher an der EURAC Research in Bozen, dem Sustainability Research Institute in Maastricht, der Arbeiterkammer Wien, dem Sustainable Consumption Institute in Manchester und derzeit an der KMU Forschung Austria aktiv. Weiters verbrachte ich einen mehrwöchigen Aufenthalt als Gastwissenschaftler am Fraunhofer Institut in Berlin. Die Arbeit an der Arbeiterkammer war für mich besonders wichtig, da ich dort erstmals eigenständig an einem Forschungsprojekt arbeiten konnte. Damit konnte ich mir sowohl inhaltlich wie auch methodisch den Weg für das PhD Studium ebnen. Die Nähe zu politischen Entscheidungsprozessen und Aktualität des Themas erlaubten mir zudem, wichtige Erfahrungen in der öffentlichen Kommunikation von wissenschaftlichen Ergebnissen zu sammeln.

Welche beruflichen Ziele haben Sie sich noch gesteckt?

Mittelfristig möchte ich zum Aufbau einer Forschungsagenda beitragen, die alle für eine Transformation relevanten Akteure und – jenseits einzelner Veränderungen von Geschäftsmodellen – auch ihre Interaktionen in den Fokus nimmt. Dazu möchte ich unter anderem untersuchen, wie auch besonders schwer zu erreichende Wirtschaftsakteure – wozu viele KMU gehören – im Transformationsprozess zu einer nachhaltigeren Wirtschaft inkludiert werden können. Über die Forschungsagenda hinaus möchte ich diese Thematik auch verstärkt in der Politik unterbringen.

Wie verbringen Sie Ihre Zeit nach der Arbeit? Haben Sie besondere Hobbies oder Interessen?

Ich genieße schöne Landschaften und gehe daher gerne wandern oder Rad fahren. In der Stadt suche ich auch gerne neue Orte wie Cafés oder Restaurants auf. Ansonsten spiele ich Tennis, gehe bouldern oder ins Theater.