Digital unterstütztes Handwerk gegen den Billigtrend

Im Forschungsprojekt Getreideverarbeitung 4.0 der ACR-Institute VG, GET und KMFA werden erstmals alle Daten, die für den Teig ausschlaggebend sind, systematisch erhoben, auf einer Plattform gesammelt und den Betrieben – von den Mühlen bis zu den Backstuben – zur Verfügung gestellt. Dieser „digitale Rheologe“ wird auf Basis dieser Daten zeitnah simulieren können, wie sich bestimmte Veränderungen, sei es bei den Eigenschaften und Inhaltsstoffen des Getreides, am Verfahren oder an der Rezeptur, auf den Teig auswirken.

Kaum ein Gebäck symbolisiert das österreichische Bäckereihandwerk so perfekt wie die Kaisersemmel. Eine ihrer zahlreichen Entstehungsgeschichten geht auf das 18. Jahrhundert zurück, als die österreichischen BäckerInnen eine Delegation zu Kaiser Josef II, dem Aufklärer, entsandten, um angesichts hoher Mehlpreise eine Preisfreigabe für ihre Produkte zu erbitten. Trotz der Französischen Revolution, die ja unter anderem wegen hoher Brotpreise ausgebrochen war, löste Josef II. die Preisbindung, und die speziell knusprige und leichte Semmel hieß fortan Kaisersemmel.

Heute sehen sich Bäckereien und Mühlen ebenfalls steigenden Getreide- und Energiepreisen gegenüber. Anders als ihre Kollegen vor 233 Jahren haben sie nun aber zusätzliche Konkurrenz durch industrielle Turbobäckereien, die Teiglinge für Discounter, Tankstellen und Backshops im Eilverfahren produzieren und damit weiteren Preisdruck auf handwerklich arbeitende kleine und mittelständische Anbieter ausüben. „Die Qualität tritt in den Hintergrund, es ist nur noch der Preis ausschlaggebend“, sagt Christian Kummer, Leiter der Versuchsanstalt für Getreideverarbeitung.

a Hände prüfen den Teig in der Maschine
b Maschine zur Prüfung der Teigrheologie

„Wir stellen die digitalen Technologien in den Dienst der handwerklichen Qualität.“ Christian Kummer, Versuchungsanstalt für Getreideverarbeitung .“

Christian Kummer, Institutsleiter VG

Das Projekt Getreideverarbeitung 4.0 wird dem Trend mit digitaler Technologie ein Schnippchen schlagen: Erstmals werden möglichst alle Daten, die für den Teig ausschlaggebend sind, systematisch erhoben, auf einer Plattform gesammelt und den Betrieben – von den Mühlen bis zu den Backstuben – zur Verfügung gestellt. Dieser „digitale Rheologe“ wird auf Basis dieser Daten zeitnah simulieren können, wie sich bestimmte Veränderungen, sei es bei den Eigenschaften und Inhaltsstoffen des Getreides, am Verfahren oder an der Rezeptur, auf den Teig auswirken. So werden zeitnahe flexible Anpassungen an unterschiedliche Mehlqualitäten, Innovationen und eigene neue Produktentwicklungen möglich und die Verarbeitung kann in einer Weise automatisiert werden, dass das Handwerk unterstützt, aber nicht ersetzt wird. „Die Chancen, die digitale Technologien bieten, sind in der Getreideverarbeitung noch längst nicht ausgeschöpft“, sagt Kummer. „Dabei kann sie helfen, Qualität zu sichern, Ressourcen und Energie zu sparen und die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Wir stellen die digitalen Technologien in den Dienst der handwerklichen Qualität.“

Beispiel Kaisersemmel: Leicht und luftig mit einer knusprigen Hülle, kommt es für eine gelungene Kaisersemmel auf die Mehlqualität und die Verarbeitung an beziehungsweise darauf, dass eine BäckerIn weiß, mit welchen Eigenschaften und Inhaltsstoffen sie es genau zu tun hat und in welcher Weise diese sich auf ihren Teig auswirken werden. Der Glutengehalt entscheidet zum Beispiel darüber, wieviel Wasser der Teig braucht, damit er gut dehnbar ist und entsprechend aufgehen kann – eine Voraussetzung für luftiger Kaisersemmeln. Der Glutengehalt von Getreide schwankt: Aus Freilandversuchen weiß man etwa, dass ein höherer CO2-Gehalt der Luft den Anteil von Gluten sinken lässt. Bereits jetzt können Bäckereien auf so genannte rheologische Berichte zugreifen, die den Mühlen und Bäckereien von der Versuchsanstalt für Getreideverarbeitung zur Verfügung gestellt werden. Auf Basis dieser Berichte passen die Betriebe ihre Produktionsprozesse an die jeweiligen Getreideeigenschaften an. Dies geschieht mit einiger Verzögerung analog. Besser wäre es, die Daten wären direkt in den Warenwirtschaftssystemen verfügbar und zwar bei Mühlen wie Bäckereien.

Diese Schnittstellen zu schaffen, ist ein Ziel des Projekts, aber noch nicht alles: Liegen die Daten einmal vor, wird der digitale Rheologe simulieren, wie sich die Verarbeitbarkeit und das Backergebnis verändern, wenn sich bestimmte Parameter verändern, etwa der erwähnte Glutengehalt und wie Bäckereien durch Anpassung – zum Beispiel  Backtemperatur oder Wassermenge – am besten darauf reagieren. Bäckereien müssen auf diese Weise nicht mehr auf Verdacht die Verarbeitung anpassen, sondern können gezielt jene Anpassungen an die jeweilige Mehlqualität durchführen, die sicher zu dem gewünschten Ergebnis führen. „Oft geht es nämlich nicht um tatsächliche Qualitätsprobleme, sondern nur darum, dass die vom Bäcker vorgegebene Spezifikation nicht eingehalten werden kann und somit der Bäcker nicht einschätzen kann, wie der Knet- und Backprozess beeinflusst wird. Das Mehl muss deshalb nicht schlecht sein, sondern kann aufgrund von kleinen Anpassungen, zum Beispiel beim Kneten dennoch die gewünschte Backfähigkeit erreichen“, erläutert Kummer.

Indem der digitale Rheologe die Unsicherheit aus den Produktionsprozessen nimmt, ergeben sich auch vielfältige Vorteile für den Klimaschutz und die Wirtschaftlichkeit der Betriebe: Es entstehen weniger Abfälle, die Energiekosten sinken je präziser die Prozesse und ihr Energieinput geplant werden kann, die Rohstoffkosten sinken ebenfalls und nehmen den gestiegenen Preisen den Schrecken. Digital verstärkt, hat das traditionelle Back- und Mühlengewerbe auch wieder eine Chance gegenüber den Turbobackwaren der Discounter. Und die Kaisersemmel mit ihnen.