Revolution der orthopädischen Chirurgie

Für die Entwicklung von Medizinimplantaten aus humanem Knochenmaterial erhielt das Unternehmen Vivamed gemeinsam mit dem ACR-Institut ZFE im Jahr 2012 den ACR-Kooperationspreis. Rund 10 Jahre und etwa 14.000 Patient*innen später ist die sogenannte „Shark Screw“ im Begriff, auch den amerikanischen Markt zu erschließen.

Jährlich werden weltweit 170 Millionen Metallschrauben in der Humanmedizin verwendet. Sie sind vielseitig einsetzbar und äußerst stabil, bringen aber einen entscheidenden Nachteil mit sich: Der menschliche Organismus nimmt die Implantate als Fremdkörper wahr. Daher kann eine Folgeoperation notwendig sein, um die Metallelemente wieder zu entfernen. Der Gedanke, auf körpereigenes Material zurückzugreifen mag vor diesem Hintergrund nahe liegen und tatsächlich begann der Orthopäde Klaus Pastl bereits in den 1990er Jahren, an der Idee einer Schraube aus menschlichen Knochen zu forschen. Dass bis zur Markteinführung zwei Jahrzehnte vergehen sollten, hat vor allem mit der Charakteristik des Ausgangsmaterials zu tun. Denn Knochen sind nicht nur weniger stabil als Metallschrauben, sondern auch wesentlich volatiler in ihren mechanischen Eigenschaften.

a Schraube aus menschlichem Knochenmaterial

Um das Problem zu lösen, war die Suche nach kompetenten Forschungspartnern für Klaus Pastl, der auch seine Söhne Thomas und Lukas für die Produktentwicklung gewinnen konnte, und das Medizintechnik-Unternehmen Vivamed der nächste logische Schritt und so holte man das Zentrum für Elektronenmikroskopie sowie das Institut für Biomechanik der TU Graz ins Boot. „Wir mussten den humanen Knochen besser verstehen, um die Fertigung zu optimieren und die maximale Patientensicherheit gewährleisten zu können“, fasst Lukas Pastl die Ausgangslage zusammen. Was mit klinischen Voruntersuchungen und einem Innovationsscheck der FFG seinen Anfang nahm, wurde in einer FFG-Feasability Study weitergeführt, um den Weg für die kommerzielle Produkteinführung zu bahnen.

Dank der interdisziplinären Zusammenarbeit gelang es dem Forscherteam, die mechanische Festigkeit der Implantate um mehr als 35% zu steigern, ohne damit den Zeit- oder Kostenaufwand im Herstellungsprozess zu erhöhen. Während das Institut für Biomechanik am Schraubendesign feilte, erstellte das ZFE mittels elektronenmikroskopischer Untersuchungen 3D-Modelle, um den inneren Aufbau menschlicher Knochen bis ins kleinste Detail nachvollziehen zu können. Die Charakterisierung des Bruchverhaltens ermöglichte es den Wissenschaftler*innen, strukturelle Eigenheiten des Spendermaterials mit seinen mechanischen Eigenschaften in Verbindung zu bringen und ein entsprechendes Vorselektionskriterium in den technischen Präparationsablauf einzuführen. Neben einer geringeren Streuung der mechanischen Eigenschaften konnten im Entwicklungsprozess auch Verbesserungen in der Operationstechnik erzielt werden.

„Wir mussten den humanen Knochen besser verstehen, um die Fertigung zu optimieren und die maximale Patientensicherheit gewährleisten zu können.“

Lukas Pastl, Gründer und Geschäftsführer von surgebright

Anders als metallische Implantate sind die Schrauben aus humanem Knochenmaterial vollständig in den menschlichen Körper integrierbar. Das verringert nicht nur die Korrosions- und Infektionsgefahr, sondern macht auch Folgeoperationen obsolet. Verantwortlich dafür ist der Knochenstoffwechsel. So besiedeln körpereigene Zellen das Implantat und sorgen dafür, dass es rückstandlos mit dem menschlichen Skelett verwächst. Im Schnitt sind die Schrauben bereits nach einem Jahr mittels Röntgen oder Computertomographie nicht mehr sichtbar. Dabei reicht ihr Anwendungsfeld weit über Knochenbrüche hinaus, können doch Fehlstellungen ebenso behandelt werden wie Bänder- und Sehnenrisse und Arthrose. So sehr die medizintechnische Innovation zu einer gesteigerten Lebensqualität der Patient*innen beiträgt, so sehr sorgt sie durch den Wegfall von Zweitoperationen, Folgeschmerzen und Krankenständen auch für mehr Effizienz im Gesundheitssystem.

„In vielen Anwendungsgebieten kann die Metallschraube bereits heute gänzlich ersetzt werden.“

Lukas Pastl, Gründer und Geschäftsführer von surgebright

Für die Entwickler der Knochenschraube „Shark Screw“ ging es nach der Auszeichnung mit dem ACR-Kooperationspreis steil bergauf. Im Jahr 2016 gründeten Klaus, Thomas und Lukas Pastl rund um ihre Innovation das Medizintechnik-Unternehmen surgebright, das sich inzwischen als führende Gewebebank und vielgefragter Ansprechpartner für den Einsatz körpereigener Materialen in der orthopädischen Chirurgie etabliert hat. Hauptaugenmerk ist und bleibt die Knochenschraube „Shark Screw“, mit der das Familienunternehmen im Jahr 2019 sogar den dritten Platz beim renommierten Houska-Preis erreichte, um nur eine von vielen Nominierungen und Auszeichnungen zu nennen. Viel signifikanter ist aber, dass bereits über 14.000 Patienten*innen durch surgebright versorgt wurden, womit der Zenit längst nicht erreicht sein dürfte. 2023 gelang mit der Expansion in die USA der bisher größte Schritt in Richtung Globalisierung. „In vielen Anwendungsgebieten kann die Metallschraube bereits heute gänzlich ersetzt werden“, betont Lukas Pastl. Und surgebright verfolgt eine klare Mission: Bis 2030 sollen 500.000 Patient*innen durch den Einsatz der Shark Screw eine Folgeoperation und allfällige Komplikationen erspart werden. Kund*innen wie Ärzt*innen sehen in der Knochenschraube ein „unverzichtbares Tool für die Orthopädie und Traumatologie“ – dem ist nicht viel hinzuzufügen.