Lehm als Baustoff der Zukunft

Erhebliche Treibhausgasemissionen und ein hoher Materialverbrauch machen den Bausektor zu einem wesentlichen Treiber des Klimawandels. Zwar konnte die Energieeffizienz in der laufenden Gebäudenutzung über die vergangenen Jahre bereits deutlich gesteigert werden, damit ist aber nur ein Teil des Problems gelöst. Denn gerade die Herstellung von Baumaterialien erfordert nicht selten viel Energie. In dieser Hinsicht bietet sich Lehm als Alternative an. Davon ist auch das ACR-Institut IBO überzeugt, das seit geraumer Zeit an Lehmanwendungen im Gebäudesektor forscht und mit zwei Folgeprojekten nun an das Strategische Projekt „Claytostay“ anknüpft.

Es gibt viel, was für die Verwendung von Lehm als Baustoff spricht: Er enthält keine Schadstoffe, ist gesundheitlich unbedenklich, umweltfreundlich, zu 100% kreislauffähig und aufgrund des minimalen Energieeinsatzes bei der Herstellung gut für das Klima. Vor allem die Anwendung von Aushubmaterial – also von direkt auf der Baustelle gewonnenem Material – trägt zu einer positiven Ökobilanz bei. Vor Ort verfügbar, verwertbar und entsorgbar, hat Lehm das Potenzial zum Baustoff der Zukunft. Schließlich ist die Minimierung der sogenannten Grauen Energie, also jener Energiemenge, welche für die Herstellung, den Transport und die Entsorgung von Materialien aufgewendet werden muss, eine wesentliche Stellschraube für die nachhaltige Ausrichtung des Bausektors.

Die Tatsache, dass Lehm kostenfrei zur Verfügung steht, lässt leider allzu oft vermuten, dass er als Baustoff keinen Wert hat. Als eines der ältesten Baumaterialien der Menschheit ist er zuletzt daher zunehmend in Vergessenheit geraten – zu Unrecht, wenn es nach dem ACR-Institut IBO geht. Bereits seit einigen Jahren beschäftig man sich hier mit den Potenzialen und Anwendungsmöglichkeiten von Lehm im Gebäudesektor. Und davon gibt es viele. Denn mit seinen vielen positiven Eigenschaften tut sich Lehm als taugliche Antwort auf globale Herausforderungen unserer Zeit wie den Klimawandel oder die Biodiversitätskrise hervor. Die uneingeschränkte Wiederverwendbarkeit des Materials reduziert den Ressourcen- und Energieverbrauch. Durch die Fähigkeit, Feuchtigkeit zur regulieren, reduziert sich der Kühlbedarf in Gebäuden zudem auf ein Minimum.

a Hände in Großaufnahme untersuchen Lehm
b Ein Forscher und eine Forscherin sprechen miteinander. Sie hält einen Ziegel in der Hand

Aushubmaterial unmittelbar am Ort seiner Gewinnung als Lehmbaustoff einzusetzen, ist die Königsklasse des nachhaltigen Bauens.

Ute Muñoz-Czerny, IBO

In ihrem jüngsten Projekt „RE-FORM earth – Lehmbau für die Bauwende“ arbeiten die ACR-Institute IBO, AEE INTEC und ZFE gemeinsam an unterschiedlichen Lösungen für den Einsatz von Lehm im Baubereich. So soll die Integration von Bauteilkonstruktionen mit Lehmanteil in die Plattform baubook eine umfassende Datengrundlage zur Ökologie und Kreislauffähigkeit sowie zum Ressourcenbedarf von lehmhaltigen Bauteilen für Planer*innen und Bauträger*innen schaffen. Mithilfe von Messungen in der Raumluft und im Aushubmaterial gilt es, Bedenken hinsichtlich negativer gesundheitlicher Auswirkungen von Lehm als Baustoff endgültig auszuräumen. Der Fokus liegt dabei auf der Strahlenbelastung durch Radon bzw. Thoron. Nicht zuletzt zielt das Projekt darauf ab, den Weg für den Einsatz von Stampflehmbauteilen mit integriertem Heiz- bzw. Kühlregister zu ebnen. Durch ihre große Speichermasse können sie zur optimalen Nutzung von volatiler erneuerbarer Energie beitragen.

Auch mit dem Forschungsprojekt „Erdbewegung – Lehm als klima- und ressourcenschonender Baustoff“ möchte das ACR-Institut IBO zu einer Ausweitung der Lehmanwendung im Baubereich beitragen, wobei hier die Rechtssicherheit im Vordergrund steht. In einem ersten Schritt gilt es daher, regulatorische Rahmenbedingungen auszuloten und eine stärkere Vernetzung zwischen Aushub- und Baumfirmen herzustellen. Darauf aufbauend geht es um die Entwicklung eines Bausystems aus Holz, nachwachsenden Dämmstoffen und Lehm für Fertigteilbauten im mehrgeschossigen Wohnbau, das die ökologische Bauweise vereinfachen und so zu einer Beschleunigung im Bauprozess führen soll. Es versteht sich von selbst, dass Umweltwirkungen dabei laufend mitgedacht und analysiert werden. Fixer Bestandteil des Projekts ist darüber hinaus der Ausbau von Bildungsangeboten im akademischen Bereich sowie die Schaffung einer anerkannten Ausbildung für Handwerker*innen.

Lehm kann ohne Qualitätsverlust mehrfach wiederverwendet werden und fällt vor allem bei großvolumigen Bauvorhaben als Aushub an, was eine Nutzung mehr als nahelegt. Mögliche Anwendungsfelder sind breit gefächert, eignet sich Lehm doch als Verputz und Estrich ebenso wie als wandbildendes Material. Gerade die Einsparung von Stahlbeton birgt hier erhebliches Potenzial zur Reduktion von CO2-Emissionen. Systembedingt führt der verstärkte Einsatz von Lehm außerdem zu einer gesteigerten Anwendung biobasierter Materialien wie Stroh, Hanf oder Schafwolle. So können konventionelle Baustoffe zunehmend durch klimaschonende und kreislauffähige Baustoffe regionalen Ursprungs ersetzt werden.