Digitales Tool zur Produktentwicklung

Steigende Energiepreise, der Fachkräftemangel und ein starker Konkurrenzdruck durch industrielle Großproduzenten setzen das heimische Bäckereigewerbe zunehmend unter Druck. Im Strategischen ACR-Projekt „Getreideverarbeitung 4.0“ entwickelten die ACR-Institute VG, GET und KMFA eine innovative technische Lösung für die Branche.

Ziel des Projekts war es, erstmals alle für den Backprozess relevanten teigrheologischen Parameter systematisch zu erfassen und Bäckereien sowie Mühlen ein digitales Simulationswerkzeug zur optimierten Produktentwicklung in die Hand zu geben. Die durch den „digitalen Rheologen“ gewonnene Planungssicherheit trägt zur nachhaltigen Qualitätssicherung bei, erhöht die Ressourcen- und Energieeffizienz und steigert die Wettbewerbsfähigkeit.

Um den Anforderungen der Betriebe gerecht zu werden, führte die KMFA zu Projektbeginn eine Bedarfserhebung durch. Demnach weist das traditionell sehr kleinstrukturierte heimische Bäckereigewerbe bereits einen hohen Automatisierungsgrad auf und ist auch gegenüber Digitalisierungsmaßnahmen sehr aufgeschlossen. So gaben 42% der Befragten an, dass sie von der entwickelten teigrheologischen Simulation profitieren würden. Insbesondere die Nachvollziehbarkeit von der Rohware zum Endprodukt sowie die Datenaufbereitung eröffnen Bäckereien und Mühlen neue Möglichkeiten.

Mit dem „digitalen Rheologen“ lässt sich der Einfluss verschiedener Input-Parameter wie etwa bestimmter Getreideinhaltsstoffe auf die Teigentwicklung, das Gärverhalten oder die Kneteigenschaften simulieren, was flexible Anpassungen an Mehlqualitäten oder Verfahrens- und Produktinnovationen erlaubt. Dabei werden die Analysedaten nicht nur in Echtzeit verarbeitet, sondern auch automatisiert Lösungen angeboten. Betriebe erhalten so konkrete Handlungsempfehlungen, um Teigeigenschaften gezielt zu verbessern.

a Brot vor dem Backen
b Forscherin bei der Brotteig-Analyse

Zur Datengewinnung führte die VG zahlreiche Versuche mit Weizenmehl-Proben durch. Im Zuge dessen wurde auch der Einfluss des verbreiteten Mehlbehandlungsmittels Ascorbinsäure unter die Lupe genommen. Dieses sorgt für Proteinstabilität, indem es die klebererweichende Wirkung des natürlicherweise im Mehl vorkommenden Glutathions hemmt. Es ist schon lange bekannt, dass Getreideprodukte in Abhängigkeit von den Erntebedingungen sehr unterschiedlich auf den Zusatz von Ascorbinsäure reagieren. Mit dem „digitalen Rheologen“ wird es nun erstmals möglich, genauere Prognosen zur tatsächlichen Wirkung des Mehlbehandlungsmittels zu treffen.

Das Projekt „Getreideverarbeitung 4.0“ hat die Grundlage zur Verwendung von digitalen Daten in der Entwicklung von Getreideprodukten geschaffen, womit der Weg für mehr Individualität und Innovativität in Bäckerei- und Müllereibetrieben frei ist. Gerade das gesteigerte Maß an Anpassungsfähigkeit ist vor dem Hintergrund des Klimawandels relevanter denn je zuvor, um die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln langfristig sicherzustellen. Noch ist die Entwicklungsarbeit aber längst nicht abgeschlossen. So soll das Simulationswerkzeug in einem nächsten Schritt auf andere Produktgruppen ausgeweitet und um zusätzliche Analysemethoden wie Viskositätsmessungen ergänzt werden.